Personalisierte Antidepressivatherapie
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Personalisierte Therapie mit Medikamenten gegen Depressionen

Ist Ihnen das Schlagwort "Personalisierte Medizin" schon untergekommen? Dabei geht es darum, mittels genetischer Untersuchungen individuell auf den einzelnen Patienten zugeschnittene Therapien zu entwickeln. In einem gewissen Rahmen ist das bei der Verwendung von Medikamenten gegen Depressionen bereits möglich.

Eine Vorbemerkung: Antidepressiva brauchen mindestens (!) drei Wochen, bis sie eine ausreichende Wirkung gegen die depressive Symptomatik entwickeln. Nach zwei Wochen ist allenfalls eine zwanzigprozentige, also noch kaum spürbare Besserung zu erwarten. Damit ist die Behandlung mit dieser Medikamentengruppe immer sehr zeitaufwendig, denn es gilt stets wochenlang abzuwarten, um zu beurteilen, ob eine Substanz greift oder nicht. Nebenwirkungen treten hingegen oft sofort ein.

Inzwischen gibt es die Möglichkeit, durch Genanalysen vorzubestimmen, welche Antidepressiva bei einem bestimmten Patienten eingesetzt werden sollten und welche nicht. Für diese Verfahren sind derzeit (Stand Juni 2017) zwei Tests verfügbar, die unterschiedliche Aussagen liefern:

Der "Antidepressivatest Stada"

Der "Antidepressivatest Stada" untersucht, wie bei 16 gängigen Antidepressiva die Verstoffwechselung in der Leber stattfindet. Dabei gibt es prinzipiell drei Möglichkeiten, die durch die genetische Ausstattung der einzelnen Menschen unterschiedlich ist.

Erstens: Die Leber verstoffwechselt ein Medikament besonders langsam. Risiko: Der Patient wird schon bei Normaldosierungen hohe Blutspiegel erreichen und damit unter besonders vielen Nebenwirkungen leiden. Das Medikament wird bei "normaler" Aufdosierung wegen Unverträglichkeit rasch abgesetzt.

Zweitens: Die Leber verstoffwechselt ein Medikament "erwartungsgemäß normal". Dann gibt es keine Probleme mit der Verträglichkeit und der zu erwartenden Wirkung.

Drittens: Die Leber verstoffwechselt eine Substanz besonders rasch. Trotz üblicher Einnahmedosis wird der Patient nur niedere Blutspiegel aufbauen und die antidepressive Wirkung wird ausbleiben.

Die Ergebnisse des "Antidepressivatests Stada" zeigen, wie die Leber des Patienten mit verschiedenen Medikamenten umgeht. Der Arzt weiß somit, ob er ein Medikament in normaler Dosierung verordnen kann oder die Dosierung - bei besonders langsamer Verstoffwechselung - auch besonders langsam aufbauen muss. In diesem Fall sollte er die Oberdosis eher niedrig halten. Im Falle einer raschen Verstoffwechselung gilt es, zügig einzudosieren und besonders hohe Dosen zu verabreichen - respektive von Vorneherein auf andere Präparate auszuweichen.

Der ABCB1-Gentest

Der ABCB1-Gentest liefert eine vollkommen andere Aussage als der Stada-Test. Nicht alle antidepressiven Medikamente, die einen guten Wirkspiegel im Blut aufbauen, schaffen es nämlich, vom Blut ins Hirn überzutreten, weil sich zwischen dem Blutkreislauf und dem Gehirn eine Filterbarriere, die sogenannte Blut-Hirn-Schranke, befindet. Welche Antidepressiva nun diesen Filter überwinden und welche nicht, ist ebenfalls individuell unterschiedlich und von den Genen des einzelnen Menschen abhängig.

Der ABCB1-Gentest gibt Auskunft darüber, wie gut etliche Antidepressiva beim individuellen Patienten aus dem Blut ins Gehirn übertreten können. Es macht keinen Sinn, Antidepressiva zu verordnen, deren Passage aus dem Blut ins Gehirn nicht funktioniert. Bei einem besonders leichten Übertritt aus dem Blut ins Gehirn hingegen ist zu bedenken, dass zentralnervöse Nebenwirkungen schneller auftreten können, womit bei höheren Dosierungen Vorsicht geboten ist.

Wie funktioniert die praktische Handhabung dieser Tests in meiner Praxis?

Wenn Sie als Patient von vornherein gleich eine optimale Pharmakotherapie haben und zirka 560 € zahlen möchten - nicht an mich, sondern an die Analyselabore (Stand 06/2017; Antidepressivatest Stada knapp 400 €, ABCB1-Gentest 160 €; die Kassen und privaten Versicherungen erstatten meines Wissens nicht!) - würde ich Ihnen empfehlen, sich sofort beide Tests abnehmen zu lassen. Meiner Erfahrung nach gibt es tatsächlich Patienten, bei denen nach Durchführung beider Tests nur noch wenige Antidepressiva als Schnittmenge überbleiben, die dann noch für die Therapie zur Verfügung stehen.

Übrigens: Beide Tests erfassen nicht alle Antidepressiva, die im Handel sind und auch gängigerweise eingesetzt werden!

Anderenfalls - und meiner persönlichen Meinung nach ganz rational - sollten Sie mindestens zwei Antidepressiva versucht haben, beide ausreichend lange und maximal dosiert. Sollten Sie auch auf die zweite Substanz nicht angesprochen haben, dann sollte von dieser eine Blutspiegelbestimmung  (Kassen- bzw. Versicherungsleistung!) vorgenommen werden: Ist der Spiegel trotz hoher Dosis nieder (und Sie haben das Präparat tatsächlich wie vorgeschrieben eingenommen): Stada-Test. Ist der Spiegel hoch: ABCB1-Gentest.

Haben Sie generell wegen Nebenwirkungen Schwierigkeiten, Antidepressiva zu vertragen: Stada-Test.

Hinweis: Bei einem guten Teil der Patienten funktioniert die antidepressive Medikation wie seit eh und je auch ohne vorherige genetische Austestung. Diese ist vor Behandlungsbeginn nicht medizinischer Standard. Die erwähnten genetischen Tests sind derzeit noch nicht in den Leitlinien zur Behandlung von Depressionen enthalten, auch nicht als Entscheidungsfindungshilfe während der laufenden Behandlung. Das soll allerdings nicht heißen, dass die Leitlinien von heute das Obsolete von morgen sind. Die Zuhilfenahme der geschilderten genetischen Testverfahren ist also ein "Kann", aber keinesfalls ein "Muss".

Bisher habe ich meine Patienten direkt angesprochen, wenn ich den Sinn in der Durchführung des einen oder des anderen Testverfahrens gesehen habe. Allerdings wird einer der beiden Tests in letzter Zeit relativ intensiv beworben, was ursächlich dafür ist, dass mich viele Patienten aufsuchen. Meine Erfahrung: Die Erkrankten sitzen verdutzt vor mir und wundern sich, dass ich die Indikation für die Durchführung des Tests nicht sehe. Es sind zwar oft diverse Antidepressiva verabreicht worden, aber es wurde keine einzige Medikamentenspiegelbestimmung vorgenommen, die überaus wichtig wäre, was die Entscheidung „pro oder contra Test“ anbelangt.